„Guten Abend meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau. Russland hat eine Großoffensive gegen die Ukraine gestartet.“ Diese Worte der Tagesschausprecherin vom 24. Februar 2022 haben auf einen Schlag alles verändert. Wir hatten zu Beginn des Jahres eine Reise zu unseren polnischen Kooperationspartnern der Kinder- und Jugendhilfe geplant. Und wir wussten nach dieser Nachricht war die Reise nicht mehr machbar wie geplant: Es war unmöglich einfach so zum fachlichen Austausch nach Polen zu fahren.
Wir erfuhren von den schrecklichen Kampfhandlungen und von geflüchteten und evakuierten Kindern aus Kinderheimen der Ukraine, die in Polen angekommen waren und dort versorgt wurden und fragten uns: Wie können wir helfen, wie können wir sie unterstützen?
Schnell war uns klar, dass wir ein Spendenprojekt für diese Kinder organisieren sollten. Und so wurde ein Spendenkonto von unserem Träger eva eingerichtet, und Geld ging zügig ein. Aber wir wollten auch direkt und unmittelbar aktiv werden. Dafür sammelten wir Sachspenden, die wir selbst nach Polen bringen wollten. Dabei ging es uns nicht nur um Dinge, die funktionieren, die notwendig sind: Wir wollten vor allem schöne Dinge sammeln, die Kinder gern haben, die ihnen Freude bereiten: Neben Kleidungsstücken, Hygieneartikeln und Lebensmitteln sammelten wir daher vor allem Spielsachen.
Es gelang uns einen Bus der eva zu organisieren, einen alten Ford Transit, der bereits etliche tausend Kilometer auf dem Buckel hatte, aber sich vom Platz her sehr gut für den Transport der Sachspenden eignete. Wir haben den Bus bis auf den letzten Quadratzentimeter vollgepackt.
Nach unserer Ankunft in Polen am 18. Mai 2022 fuhren wir mit dem vollgepackten Ford Transit und einem weiteren Auto vom Landratsamt des Landkreises Cieszyn los. Mit dabei waren die stellvertretende Landrätin Janina Żagan und Frau Habarta, die Leiterin des Kinderheimes, ein Fahrer, und wir drei von der eva.
In Ustron, etwa 20 Kilometer von Cieszyn entfernt, werden wir von Mitarbeiter:innen der dortigen Reha-Klinik empfangen. Die Direktorin der Klinik Ewa Rybicka informierte uns über die aktuelle Lage und berichtete, dass Hunderte Menschen aus der Ukraine auf dem Reha-Gelände Zuflucht gefunden hatten und alles möglich getan wurde, um sie dort gut zu versorgen.
In den weitläufigen Gebäuden der Klinik, die üblicherweise 800 Plätze haben, sind in zwei Reha-Hotels 440 geflüchtete Menschen aus der Ukraine untergebracht. Die Hotels befinden sich in einem Waldgebiet am Rande der Stadt in einer ruhigen und schönen Umgebung.
Im Hotel Narcys leben 230 Kinder, die allermeisten ohne Eltern, und im Hotel Wilga 210 Menschen, hauptsächlich Mütter mit ihren eigenen Kindern und mit Kindern, die auf der Flucht zu ihnen gestoßen sind. Manche der Kinder sind nicht nur durch die Fluchterfahrungen sichtlich traumatisiert, sondern haben schwere körperliche und geistige Einschränkungen.
Drei Leitungskräfte haben uns über die Unterbringung der geflüchteten Menschen informiert, die aus den Regionen Donezk, Charkiw und Odessa stammen. Ganze Kindergruppen aus Waisenheimen wurden hierher evakuiert, um sie vor den fürchterlichen Kriegshandlungen in Sicherheit zu bringen. Viele mussten Hals über Kopf ihre vertraute Umgebung verlassen, wurden von Familienangehörigen getrennt und haben sich unter größter Kraftanstrengung auf die Flucht begeben. Einzelne Kinder, die alleine unterwegs waren, wurden von Müttern mit Kindern aufgenommen und bis heute mitversorgt.
Wir erhalten ein Dankesschreiben über den Eingang der finanziellen und materiellen Hilfe der eva. Dort heißt es u.a.: „Wir sind sehr dankbar für Ihre Großzügigkeit und Unterstützung, die wirklich zur Verbesserung der schwierigen Situation der Kriegsflüchtlinge im Kurort Ustron beigetragen hat“.
Wir entladen die Sachspenden aus unserem Bus und bringen sie in einen großen Saal zu den anderen schon vorhandenen Materialspenden. Die Lagerung aller Spenden ist sehr gut organisiert und wird von den Kolleg*innen vor Ort perfekt abgewickelt. Wir nehmen lediglich einige Süßigkeiten und Spielzeug mit zu den Kindern, denen wir gleich begegnen werden.
Zuerst fahren wir ins Hotel Narcys, das normalerweise als Reha-Hotel für die Patient*innen der Klinik und deren Angehörigen dient. Dort werden wir von etwa dreißig Kindern im Alter von zwei Jahren bis ins Jugendalter, ihren Betreuer*innen und einigen Mitarbeitenden des Hotels empfangen. Die Betreuer*innen sind Mitarbeitende der Einrichtungen, in denen die Kinder in der Ukraine untergebracht waren.
Die Kinder singen uns ein wunderschönes Lied und überreichen uns selbstgemalte Bilder als Dankesschön für die Spenden. Wir blicken in freudige und lachende Kinder- und Erwachsenengesichter, in denen aber auch das erlebte Leid und die Schwere wie Schatten zu erkennen sind. Dies war für sehr berührend, und die damaligen Eindrücke wirken bis heute nach.
Die Kinder sind dankbar und ganz selig als sie die mitgebrachten Süßigkeiten und die Spielsachen überreicht bekommen. Ein Junge kann einen Fußball, den er in die Hände bekommt, nicht mehr hergeben, er braucht ihn zum Festhalten und Anklammern. Andere Kinder möchten so viel wie möglich an Süßigkeiten abbekommen und werden freundlich ermahnt. Es zeigt sich die ganze Bedürftigkeit und Verletztheit der Kinder. Einzelne Kinder suchen einen intensiven Blickkontakt und schaffen dadurch einen tiefen und existenziellen Kontakt. Nach einigen Minuten der intensiven Begegnung gehen die Kinder wieder zurück in den Gruppenraum mit Spielecken, der im Restaurantbereich des Hotels eingerichtet wurde.
Im nächsten Hotel Wilga treffen wir ebenfalls auf Kinder, die uns mit einem Lied empfangen, und auf ihre Mütter. Dort haben wir Gelegenheit mit den Müttern und den Kindern über ihre Situation zu sprechen. Sie äußern sich zufrieden über die Unterbringung im Hotel, wo sie in den jeweiligen Zimmern mit ihren Kindern leben. Das Mittagessen gibt es für alle gemeinsam im Restaurantbereich, Frühstück und Abendessen kann auch auf den Zimmern eingenommen werden. Dies läuft wie die Reinigung der Wohnbereiche selbstorganisiert ab. Manche der Kinder gehen zur Schule, andere werden noch von ihren Müttern unterrichtet. Die schulischen Aufgaben werden i.d.R. zweimal wöchentlich aus der Ukraine per E-Mail zugesandt.
Einige Kinder mit Behinderung werden in einer nahegelegenen therapeutischen Einrichtung tagsüber gefördert und therapeutisch betreut. Sie erhalten dort verschiedene therapeutische Angebote, wie Physiotherapie und Ergotherapie und werden in Kleingruppen pädagogisch betreut und versorgt.
Eine Mutter, deren siebenjährige Tochter ab dem neuen Schuljahr in die zweite Klasse einer Schule vor Ort gehen wird, erzählt uns, dass sie so schnell wie möglich wieder in ihrem Beruf als Krankenschwester arbeiten möchte. Die Arbeitserlaubnis wird derzeit bearbeitet und liegt voraussichtlich in den nächsten Tagen vor.
Bei der Spendenübergabe zeigen sich die Kraft, die Würde und die Hoffnung der Menschen in ihrer schwierigen und belastenden Situation. In der Danksagung steht: „Nachbarschaftshilfe in so großem Umfang hat gerade dank Ihrer großzügigen Gesten eine Chance auf Erfolg.“
Ewa Grabowska